Vor der Auswahl von IP-Kameras zur Videoüberwachung!!
Aktualisiert: 06.01.2019 Autor: Torben Vanselow über den Autor Autor: Torben Vanselow
War bisher u.a. tätig bei Mobotix AG, Prosegur GmbH, Ideal CCTV LTD (Schottland) u.a. in Position / Verantwortung: Projektkoordinator Videoüberwachung (VÜA), Hauptverantwortliche Fachkraft VÜA (BHE), Fachplaner VÜA (BHE) jeweils deutschlandweit. Referent für technische Seminare VÜA und BDM VÜA Deutschland-Mitte. Geschäftsführer.
Es gibt grundlegende Kriterien, über welche sich der potentielle Käufer vor der Entscheidung ein Bild machen sollte. In diesem Ratgeber behandeln wir folgende Aspekte:

Dezentrales IP-Video-System oder zentralisiert?
Das wahrscheinlich wichtigste, was Sie jemals über das Thema IP-Videoüberwachung hören werden! Dieses Thema verlangt nach einem separaten, detaillierten Artikel. Jedoch kurz zusammengefasst:

Dezentrale IP-Videoüberwachung “Die Intelligenz steckt in der Kamera”
- drastische Bandbreitenreduzierung möglich, da Kameras gegebenenfalls Videodaten nur senden, wenn definierte Ereignisse in der Szene (Kamera-Sichtbereich) eintreten
- schlanke bis keine Leistungsanforderung an Speichermedien. Jede Kamera stellt für alle entsprechenden Analyse- und Komprimierungs-Vorgänge den eigenen integrierten Prozessor zur Verfügung
- Beschränkung der Anzahl an eingebundenen IP-Kameras: Keine - es bestehen Systeme mit mehreren Tausend Kameras an einem Objekt
Zentrale Systeme “die Intelligenz befindet sich auf einem Netzwerk-Video-Recorder (NVR) oder Server”
Enorme Bandbreiten-Anforderung an die Infrastruktur!
Alle Kameras stehen mit hochauflösenden Videodaten in Dauerverbindung (!) mit einem zentralen Server
Enorme Leistungsanforderungen den zentralen Prozessor.
Während der Video-Server bereits mit dem Darstellen (Dekomprimieren) und Speichern (Komprimieren) aller angeschlossenen IP-Kameras beschäftigt ist, sollen nun noch Ereignis-Video-Analysen in hochauflösenden Streamen abgearbeitet werden. Realistisch gesehen ist dies bei einer größeren Anzahl an Kameras entweder nicht möglich oder mit immensen Kosten verbunden
Beschränkung der Anzahl an eingebundenen IP-Kameras
Ja - Die maximale Anzahl ergibt sich aus der Leistungsfähigkeit des Servers und dem Kompromiss bezüglich Auflösung, Bildrate und Analyseaufgaben. Ab 10-15 Kameras sollte man jedoch zuerst einen Experten konsultieren

Preis/Leistung
Nach kurzer Recherche im Internet entsteht der Eindruck - “die Profi-IP-Kameras gibt es doch auch schon für zweistellige Stückpreise in HD”. Die angegebenen Spezifikationen sehen für den Laien erstmal überzeugend aus. Aber wo liegen die Unterschiede? Sind teurere Kameras auch wirklich hochwertiger? Und reicht mir vielleicht auch einfach die Günstige? Hier ein paar aufklärende Fakten:
- als Bauernregel gilt: Jeder Kamerahersteller, dessen Namen Sie nicht schon seit Kinderstube kennen, ist mit über 90%-iger Wahrscheinlichkeit, voll oder teils, ein OEM-Importeur.
- OEM Produkte werden typischerweise palettenweise als No-Name-Ware in China eingekauft. Mittlerweile wird schon ab zwei- bis drei-stelligen Stückzahlen Wunschname und Logo aufgedruckt. Online-Shop gebastelt - zack - fertig - ich bin "Qualitäts-Hersteller”
- wiederum kommen mindestens 90% aller OEM IP-Kameras aus der selben Fabrik. Kritik bezüglich dieser wird immer lauter; es würden staatliche Subventionen in mehrstelliger Milliardenhöhe fließen
- Niedriglöhne und staatliche Subventionen ermöglichen also einen äußerst niedrigen Preis. Dies allein muss den predominant ökonomisch orientierten Käufer ja nicht abhalten. Aber entstehen durch die Sachlage Nachteile Technischer Natur?
- IT-Sicherheits-relevante Aspekte: Ja - in den Medien tauchen mittlerweile tausende von erfolgreichen Hacker-Attacken auf besagte IP-Kameras auf. Und diese sind nur die Spitze des Eisberges. Bei einem der bekanntesten Fabrikaten, ist sogar das direkte zugreifen auf die Admin-Benutzeroberfläche, aus dem Internet möglich. Bereits ein kompromittiertes IoT-Gerät auf einem sonst sicheren Netzwerk, kann heute als Ausgangspunkt von massiven Attacken wie Bot-Nets genutzt werden
- Technische Aspekte: Die gesamte Performanz einer IP-Kamera lässt sich nicht an einem einzelnen Parameter wie der Auflösung (Full HD, 2 Megapixel etc.) festmachen. Vielmehr kommt eine Verkettung aller erforderlichen Technologien und Systeme zum tragen: Bildsensor (Lichtempfindlichkeit, Sensor-Dynamic hoch oder niedrig ausgerichtet? - Dynamische Breite (z.B. Dynamic Wide Range oder Digitale Equivalente), Prozessor oder einfach nur getaktete Bildrate ? (z.B. standard H.264-Generatoren aus der Unterhaltungsindustrie oder Consumer Electronics, welche eigentlich für Camcorder entwickelt wurden, bis hin zum Video Management System. Gerade beim letzteren muss man viele Abstriche bei Funktionalität, Zuverlässigkeit und Datenschutzkonformität machen
Einsatzzweck der Überwachungsanlage (laut IEC 62767)
Die Europaweit gültige DIN EN 50132-7, wird im April 2018 durch Teile der Weltweit gültigen IEC 62767 ersetzt. An den Anforderungen an die notwendigen Auflösungen für die diversen Einsatzzwecke von Video-Bildmaterial, ändert sich aber nichts.
Wir wollen uns, in diesem nicht zu tiefschürfenden Artikel, mit zwei praktischen Szenarien begnügen. Diese reichen jedoch in der Regel aus, um den Großteil aller Anwendungen abzudecken.
Beispiel-Szenario 1: Intervention
Sie planen ein IP-Video-System (in der IEC 62767 mittlerweile VSS für Video-Security-System oder zu deutsch Video-Sicherheits-System genannt) mit dem Ziel, unbefugte Eindringlinge abzuschrecken und zu detektieren, um automatisierte, sowie manuelle Maßnahmen einzuleiten, welche einen Schaden im vornherein abwenden sollen.
- Um Bewegungen im Video Detektieren zu können, sind mindestens 25 Pixel/meter an der entsprechenden Szene gefordert. Achtung: Dies erfüllt die die IEC, garantiert aber nicht automatisch die technischen Leistungen aller Produkte.
- Damit eventuell eine Notruf und Service Leitstelle (NSL) in der Lage wäre, den Tathergang zu Beobachten und verhältnismäßige Entscheidungen bei der Alarmverfolgung zu treffen, werden mindestens 63 Pixel/meter benötigt
- Die verwendeten Kameras, oder zumindest das zentrale Video-Sicherheits-System, muss in der Lage sein auf kleinere Pixelveränderungen zu reagieren, ohne unverhältnismäßig viele Fehlalarme auszulösen. Dies wäre beim Aufschalten auf eine NSL sehr kostspielig und bei einer Benachrichtigung auf eine App im Heimbereich untragbar. Sie benötigen für Szenario1 eine Videoanalyse (Achtung! Eine Standard-Bewegungserkennung sollten Sie für diese Zwecke auf keinen Fall verwenden).
- Entweder die einzelnen Überwachungskameras, oder das VMS (Video-Management-System), muss in der Lage sein Alarme und Benachrichtigungen zu versenden
- Sie benötigen weitaus weniger Kameras pro Fläche als im Szenario2
Beispiel-Szenario 2: Erkennen und Identifizieren
Sie planen eine IP-Videoüberwachung, mit dem Ziel, vor Gericht verwendbares und zulässiges Beweismaterial über Tatbestände zu generieren.
- zwar werden für die Anwendung Erkennen nur 125 Pixel/meter gefordert, aber es ist nicht gewährleistet, dass Bildmaterial in dieser Auflösung jeder Belastung standhält. Oft hört man die Auslegung: (Wieder-)Erkennen - wen man kennt. Eventuell muss der Erkannte anderweitig identifiziert werden. In der Praxis wird jedoch oft mit der 125 Pixel/meter gearbeitet um Kameras einzusparen. Man erhofft sich auch ein Annähern des mutmaßlichen Täters auf halbe Distanz, in welcher er dann 250 Pixel/meter ausfüllen würde. Dies erfordert jedoch einiges an Planungserfahrung
- um sicherzugehen, Identifizieren sie Personen an kritischen Punkten mit 250 Pixel/meter.
- Sie benötigen nicht zwingend eine Videoanalyse, sollten aber wenn möglich, aus Gründen der Bandbreitenreduzierung und Schonung der Kapazität Ihrer Speichermedien, die Verwendung trotzdem in Betracht ziehen
- Es werden weitaus mehr Kameras pro Fläche benötigt, als in Szenario1
In zukunft werden wir an dieser Stelle einen entsprechenden Rechner zur Verfügung stellen.
Übergangsweise können Sie sich auf unserem Produkt Selektor IP-Kamera-Konfiguration für Modelle des Herstellers Mobotix, gerne ein Bild über erreichbare Entfernungen und Flächen machen.
Der Artikel ist als Ratgeber zur Unterstützung, bei der Wahl der richtigen Kamera-Modelle gedacht. Er ersetzt weder fachmännisches Wissen, noch die Notwendigkeit für eine professionelle Planung laut IEC 62767. Zu einer kompletten professionellen Planung gehören noch viele weitere Elemente, wie z.B. eine Objektbegehung, eine Risikoanalyse, eine Speicherbedarf- und Bandbreitenberechnung und vor allem eine Planung der Beleuchtung.
Jedoch möchten wir in naher Zukunft gerne weitere Artikel, über die vorgenannten Themen hinzufügen.